Der Recruiter als Stratege: Talente anziehen statt sie zu suchen – Interview mit Martin König (Infineon)
10. Januar 2019
Martin König wird im Februar auf unserem Personal:digital-Strategiegipfel als Sprecher zum Thema „Key Functions, Candidate Persona & CRM – der digitale Ansatz, Recruiting und Talent Marketing zu kombinieren“ sprechen. König ist seit mehr als fünf Jahren bei Infineon und leitet seit 1,5 Jahren ein Team von Talent Attraction Managern an unterschiedlichen Standorten bei Infineon. Wir haben ihn vorab zur Recruiting-Strategie des Konzerns befragt.
PN: Können Sie uns kurz was zu Ihrer Position bei Infineon erzählen – Was ist Ihr Tätigkeitsfeld als Teamlead Talent Attraction?
MK: In meiner Position bin ich verantwortlich für das Recruiting, auch Talent Marketing für Infineons Produktionsstandorte in Deutschland und Österreich. Insgesamt sind das sieben Standorte und mehr als 10.000 Mitarbeiter, die mein Team, bestehend aus derzeit 13 Personen, und ich recruitingtechnisch betreuen. Wir kümmern uns um das operative Recruiting – die Stellenbesetzung vom Absolventen bis zur erfahrenen Führungskraft.
Eine weitere Aufgabe ist, Infineon als Employer of Choice zu positionieren und dafür zu sorgen, dass wir abgestimmt sind mit dem zentralen Employer Branding, aber noch Spielraum haben um das Ganze regional zu implementieren.
PN: Hat sich das Recruiting durch die Digitalisierung mehr zu einer marketingverwandten Disziplin mit eben auch ähnlichen Aufgaben gewandelt?
MK: Die Digitalisierung führt nicht unbedingt dazu, dass wir jetzt erst hin zum Marketing gehen. Wir sind schon von Anfang an davon überzeugt, dass nur wenn wir Talent Marketing und Recruiting kombinieren und beides in einer Hand haben, unsere Zielgruppen sowie den Markt verstehen und das Ganze in zielgerichtete Maßnahmen umsetzen können. Die Digitalisierung bietet uns Möglichkeiten und Instrumente, um noch spezifischer und mit einem besseren Zielgruppenverständnis über die richtigen Kanäle und Plattformen unsere Zielgruppen anzusteuern.
PN: Wie gehen Sie bei Infineon grundlegend die Suche nach neuen Talenten an?
MK: Wir haben uns bewusst Talent Attraction genannt. Wir sind keine Beschaffungsorganisation, die Menschen für eine Firma beschafft, sondern wollen Menschen für Infineon gewinnen und begeistern. Wir suchen Individualisten und die wollen nicht mit Standardfloskeln angesprochen werden. Wir wollen individuell auf jeden Kandidaten eingehen und ihm zeigen, warum es sich für ihn lohnt bei Infineon zu arbeiten und eine langfristige Karriere anzusteuern. Im Grunde sind wir Verkäufer: Wir verkaufen das Produkt Infineon als Arbeitgeber. Unser großer Vorteil ist, dass das ein sehr gutes Produkt ist.
PN: Über welche Kanäle werden Kandidaten akquiriert?
MK: Unsere Kandidaten kommen über die unterschiedlichsten Plattformen und Quellen zu uns. Wir haben eine eigene Bewerberplattform, über die sie sich selbst online bei uns bewerben. Auch die internen Mitarbeiter müssen sich über diese Plattform bewerben. Wir haben alles in einem zentralen ATS – Applicant Tracking System – integriert und so festgestellt, dass unsere Kandidaten von unterschiedlichsten Kanälen und Plattformen kommen – Social Media, Business-Netzwerke, auch durchaus noch offline über Events und Messen.
PN: Sie sprechen in Ihrem Vortrag auch über das Thema CRM – Welche Rolle spielt das CRM beim Recruitingprozess?
MK: Wir haben festgestellt, dass uns ein professionelles Tool fehlt, mit dem wir ein nachhaltiges Beziehungsmanagement zu unseren Kandidaten aufbauen können. Dafür nutzen wir jetzt seit mehr als einem Jahr ein Candidate Relationship Management-Tool, Avature. Wir pflegen dort interessante Kandidaten ein, unterteilt nach unterschiedlichen Key Functions, die wir für unser Unternehmen benötigen. Wir haben verschiedene Pipelines in diesem CRM und spielen dort Kandidaten ein, denen wir vielleicht momentan noch keinen Job anbieten können, die aber prinzipiell interessant für uns sind. Dazu gehören auch Second-Best-Kandidaten, die bei uns in einem Bewerbungsprozess waren und den Job nicht bekommen haben, weil wir die Position an einen anderen Bewerber vergeben haben. Wir müssen dann bei einer neuen Stelle nicht wieder bei Null anfangen, weil wir ja schon Kandidaten haben – wir haben schon die Kontaktdaten und das Wissen, dass die gut sind. Jeder Kandidat, der in diesem CRM ist, hatte bereits mit einem Infineon-Mitarbeiter persönlichen Kontakt und passt nicht nur von der Qualifikation, sondern auch von der Kultur her zu unserer Firma. Diese Kandidaten möchten wir natürlich langfristig in eine Position bei Infineon bringen. Das CRM hilft uns, die Übersicht zu bewahren und dabei, die Kandidaten mit für sie interessanten Informationen zu bespielen. Deshalb auch die Unterscheidung in unterschiedliche Zielgruppen: Bei einem Konzern von mehr als 40.000 Mitarbeitern sind die Zielgruppen sehr divers, sehr heterogen. Wir möchten Leute nicht mit dem Gießkannenprinzip mit Informationen bespielen, sondern zielgerichtet genau die Informationen zu den Zielgruppen bringen, die für sie Relevanz haben.
PN: Wird bei Infineon das klassische Headhunting ebenfalls noch zur Kandidatenansprache genutzt?
MK: Ja, das machen wir auch noch. Unsere unterschiedlichen Stellen benötigen einen unterschiedlichen Aufwand bei der Besetzung. Wir haben drei Job-Kategorien geschaffen, in die wir unsere Stellen einordnen. Und wir bieten ein unterschiedliches Dienstleistungsportfolio an, je nachdem in welche Kategorie eine Stelle fällt. Es gibt die Stellen, die relativ leicht zu besetzen sind, das nennen wir „Post and Select“ – an „Post and Pray“ angelehnt. Wenn wir hier eine qualitativ hochwertige Stellenanzeige formulieren, erhalten wir in der Regel ausreichend qualifizierte Bewerbungen. Es gibt aber auch Positionen, die extrem schwer zu besetzen sind, die vielleicht auch vertraulich sind und wo der Markt wirklich knapp ist. Und in dem betreiben wir selbst, also unsere Talent Attraction Manager, Active Sourcing in enger Abstimmung mit unseren Führungskräften. Wir sprechen die Leute aktiv an, um passive Kandidaten zu aktivieren und von Infineon zu überzeugen. Das gelingt uns auch extrem gut.
PN: Machen die Möglichkeiten und Wege der Digitalisierung das Recruiting einfacher oder wird es dadurch tatsächlich komplexer?
MK: Es wird definitiv komplexer: Es gibt nicht die eine Plattform, über die man Kandidaten findet. Man muss sehr breit gehen. Auch muss man hervorstechen in der Kommunikation und in diesem kommunikativen Overload, der ja jedem von uns tagtäglich begegnet. Man muss die Leute identifizieren können über die richtigen Kanäle. Und dann muss man noch die richtige Ansprache wählen, um überhaupt einen Zugang zu bekommen. Das macht die Komplexität heutzutage aus.
Wenn man das einmal erreicht hat – und man erreicht es in der Regel durch eine individuelle Ansprache – fällt es bei einem guten Produkt wie Infineon als Arbeitgeber relativ leicht die Leute zu überzeugen. Aber erstmal bis dahin zu kommen, ist schon ein relativ komplexer Weg.
PN: Haben sich das Bild des modernen Personalers und die Ansprüche an ihn verändert über die letzten Jahre, auch mit der Digitalisierung?
MK: Absolut. Wir brauchen eine ganz andere Art der Persönlichkeit. Das ist auch mir besonders wichtig, wenn ich nach neuen Teammitgliedern schaue. Im Endeffekt sind wir eine Art interner Berater. Wir sind kein Service-Center, arbeiten nicht administrativ. Wir arbeiten eher konzeptionell, strategisch daran eine Position zu besetzen. Klar sind da mitunter operative Tätigkeiten dabei. Aber wie gesagt, sind wir eigentlich eine Art interner Berater, der auf Augenhöhe mit dem Fachbereich gemeinsam und partnerschaftlich – das ist uns sehr wichtig – die Besetzung der Stellen angeht und eine gemeinsame Strategie entwickelt. Wir begleiten unseren internen Kunden bis zur erfolgreichen Besetzung proaktiv mit dieser Dienstleistungsmentalität, der Beratungsmentalität und einem professionellen Setup an Tools, Instrumentarien und Strategien. Das stellen wir unseren Führungskräften zur Verfügung und darauf vertrauen sie.
PN: Was begeistert Sie an Ihrem Beruf?
MK: Die Komplexität und die Vielfalt, die Bandbreite der Aufgaben, die wir haben. Auch die Dienstleistungsorientierung des Jobs. Mich fasziniert auch, mit unterschiedlichen Menschen zu tun zu haben, unterschiedliche Persönlichkeiten kennen zu lernen – sowohl intern, als auch extern. Das Tolle an unserem Job ist, wir erleben eigentlich nur die positiven Seiten. Wir vermitteln für Kandidaten von außen Karrieremöglichkeiten. Und wir haben ein gutes Produkt, wir können – gerade, weil wir auf Wachstumskurs sind – den Leuten eine Perspektive bieten: Wir ermöglichen ihnen, gemeinsam mit Infineon etwas aufzubauen und sich weiter zu entwickeln. Das finde ich nach all der Zeit immer noch äußerst befriedigend. Und es ist eben auch schön zu sehen, wenn die Leute dann angefangen haben, wie sie sich intern entwickeln, welchen Lauf das nimmt. Man bekommt die Dankbarkeit der Kandidaten zu spüren, weil man ihnen geholfen hat, den Weg einzuschlagen, der sich im Nachhinein als der für sie richtige herausgestellt hat.
PN: Gehen Sie noch selbst mit in Bewerbungsgespräche?
MK: Leider nur noch sehr selten. Früher hab ich das sehr gern gemacht, um die Zielgruppe besser zu verstehen. Aufgrund meiner Führungsposition und meinen damit verbundenen Dienstreisen zu unseren unterschiedlichen Standorten komme ich nur noch gelegentlich dazu. Denn nur wenn ich persönlich vor Ort bin, kann ich die individuellen Standortspezifika verstehen und berücksichtigen – die regionalen Arbeitsmärkte sind mitunter sehr unterschiedlich.
Wenn ich die Möglichkeit habe, gehe ich ab und zu noch mit rein. Und wenn es klappt, gehe ich auch so wie in Aachen vor kurzem auf die Bonding Firmenkontaktmesse, um auch da wieder ein bisschen näher an den Zielgruppen dran zu sein.
Mehr Insights gibt Martin König auf unserem Strategiegipfel Personal:digital am 20. & 21. Februar 2019.
Das komplette Programm mit allen Infos und Sprechern finden Sie »auf unserer Eventseite.
Herzlichen Dank für das Interview, Herr König!